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Gaming mit Behinderung - So spielt Birgit mit einem Auge!

17.03.2022 • Interviews • Netzwerk • von Karolina Albrich

In diesem Interview berichtet die Gamerin Birgit von seinen Erfahrungen beim Spielen und welche Anforderungen sie persönlich an Barrierefreiheit in digitalen Spielen hat. So möchten die Teams vom Spieleratgeber-NRW und Gaming ohne Grenzen Sichtbarkeit für verschiedene Behinderungen schaffen und einen Beitrag zur Förderung von Barrierefreiheit in Games leisten.

Dieses Interview ist ebenfalls auf dem Spieleratgeber-NRW erschienen!

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Die Anforderungen an Barrierefreiheit digitaler Spiele sind so vielfältig wie die Menschen, die diese nutzen wollen. Behinderungen fallen sehr unterschiedlich aus und so stoßen Spieler*innen auf sehr verschiedene Barrieren. Dann heißt es oftmals kreativ werden: Einige nutzen Technologien oder entwickeln andere hilfreiche Strategien. Doch nicht alle Hürden lassen sich selbständig überwinden. So wird der Wunsch der Community immer deutlicher, Menschen mit Behinderung in den neuesten Spiele-Entwicklungen mitzudenken, mit einzubeziehen und Gaming langfristig für alle zu ermöglichen.

Hallo Birgit! Vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Wir sind ganz gespannt, welche Einblicke du uns gibst. Fangen wir doch mit zwei Einstiegsfragen an. Magst du uns davon erzählen, welche Bedeutung digitale Spiele für dich haben? Was spielst du gerne? 

Eigentlich spiele ich gerne Abenteuer. Also mein Liebling ist Monkey Island - besonders Teil 3, weil es für mich am besten geht -, aber auch Rollenspiele sind eigentlich toll, nur dass Stone Age 2, das einzige, das ich wirklich gut spielen konnte, schon lange eingestellt ist. Aber so ab und an spiele ich auch gerne Lebenssimulationen, oder sowas wie Pokémon - sowohl die ganz alten Game Boy Spiele als auch Pokémon Go. Und sowas wie Star Trek Timelines, auch wenn ich keine Ahnung hab, in welche Kategorie das fällt. Trading Cards, nur ohne Trade? Jedenfalls Spiele, wo ich Fortschritte merke, Ziele erreichen kann.

Sehr cool! Ich bin auch großer Fan der Pokémon-Reihe und von Adventures! Und damit sind wir ja auch schon direkt beim Thema. Du sagst, du konntest Stone Age 2 als einziges Rollenspiel wirklich gut spielen… woran liegt das? Möchtest du uns von deiner Behinderung erzählen und wie sich das darauf auswirkt, welche Spiele für dich überhaupt barrierefrei sind? 

Also, zunächst mal hab ich verschiedene Behinderungen und weiß gar nicht genau, welche da wirkt, beziehungsweise ob es Wechselwirkungen gibt. Diejenigen, die da zumindest eine Rolle spielen könnten, sind, dass ich nur ein Auge habe, von Geburt an. Das heißt, ich habe noch nie 3D sehen können, mein Hirn hat einfach immer nur einen Seh-Input gehabt und für mich sieht deshalb alles aus wie auf einem Foto. Den alten, analogen mit Filmentwicklung und ohne Filter (Wer weiß, was für Zweiäugige heute alles bei Fotos drin ist?). Dann bin ich neurodivergent. Ganz genau weiß ich nicht, ob ich lediglich hochsensibel oder autistisch bin, mir fehlen aber in jedem Fall Reizfilter, weshalb weniger optische Informationen generell besser sind und mich weniger überlasten. Und dann ist da noch meine Migräne, die auch noch mit reinspielen kann. Das sorgt dafür, dass Spiele dann für mich barrierefrei(er) sind, wenn die Grafik 2D ist und am besten nicht allzu viel optisch auf einmal passiert. Beim Beispiel von Monkey Island 3 ist es so, dass sich manchmal ein paar Figuren von sich bewegen in einem Bild, der Bildausschnitt aber statisch bleibt und Protagonist Guybrush an den Bildrand und dadurch ins nächste Bild geht, und nicht etwa die Szene sich mit seinen Bewegungen verändert. Das hilft sehr, weil so nur ein kleiner Teil wirklich verändert wird und das Hirn nur darauf reagiert. Weniger Reize. Und eben, dank 2D-Grafik, eine Perspektive, die für mich natürlich und realistisch ist.

The Curse of Monkey Island (Lucasfilm Games)

Ich kann mir gut vorstellen, dass es da schwer ist herauszufinden, wo Wechselwirkungen zwischen den Behinderungen das Spielen beeinflussen und wo die jeweilige Behinderung als solche die Barriere schafft. Danke für deine Offenheit. Das gibt uns einen ganz neuen Blick auf Barrierefreiheit in Spielen. Dass 3D-Grafik ein Problem sein könnte, war uns bis jetzt noch nicht aufgefallen. Dass Spiele wie andere Medien auch zu reizüberflutend sein können, ist da schon mehr bekannt und erforscht. Was würdest du dir denn von Entwickler*innen wünschen, damit wieder mehr Spiele für dich zugänglich sind? 

Ich würde mir erstmal mehr Spiele mit 2D-Grafik wünschen. Nicht nur von ein paar Indie-Entwickler*innen (aber ich sehe euch und bin froh, dass es euch gibt), sondern auch von großen Firmen. Die Mischung machts. Und ich verstehe, dass nicht jedes Spiel für mich zugänglich sein kann, weil man natürlich auch technische Möglichkeiten ausprobieren und den Hunger der Leute nach Neuem - oder für sie Realistischem - stillen will. Aber Spiele für mich muss ich halt schon mit der Lupe suchen und finde dann trotzdem immer nur die paar, die ich schon kenne. Toll wäre natürlich auch, wenn es da auch verschiedene Grafik Modes gäbe, aber ich schätze, dann müsste man das Spiel quasi doppelt programmieren und das lohnt sich nicht. Aber Workarounds, die für mich teilweise wirken, sind Zoom-Möglichkeiten. Wenn ein Bild viel kleiner ist, fällt 3D-Grafik oder auch nur der Versuch einer Andeutung (looking at you, Sims-Reihe) weniger auf. Das hilft mir auch bei Handyspielen. Dieselben Spiele am PC gehen oft gar nicht, aber mein Handy (immer das kleinste Display, was es auf dem Markt gibt, weil ich winzige Hände habe) ist da kein Problem. Beim Zoom aber auch darauf achten, dass ICH als Spielerin die Kontrolle über den Bildausschnitt und Kamerafahrten habe. Dass Höhenunterschiede nicht automatisch in Kamerafahrten enden oder Bäume plötzlich aus dem Nichts auftauchen (Ja, ich schau euch schon wieder an, werte Sims, besonders Generation 4). Und bei linear verlaufenden Spielen mit Aufgaben wären auch flexible Speicherpunkte toll. Klar ergibt es manchmal Sinn, dass man nicht vor jedem Kampf abspeichern und dutzendfach rumprobieren kann. Aber es wäre halt nützlich, wenn ich sofort abspeichern und beenden kann, wenn ich merke, dass mir schlecht wird, ich Kopfschmerzen kriege oder nen Overload anfängt. Und dass ich dann nicht eine halbe Stunde Spielfortschritt verliere oder mich bis zum potenziellen Erbrechen oder in eine massive Migräneattacke spielen muss, wenn ich meinen Spielfortschritt behalten will.

The Sims 4 (The Sims Studio)

In deiner Antwort finden wir ja schon einige Lösungsmöglichkeiten, die Spiele für dich barrierefrei(er) machen würden. Gute Zoom-Modi würden vielen Menschen mit einer Seh-Einschränkung sehr beim Spielen helfen. Auch die Pausenfunktion nimmt viel Zeitdruck heraus, was Barrieren für Gamer*innen mit verschiedensten Behinderungen abbauen kann. Stellen wir uns mal vor, ich wäre eine Spieleentwicklerin. Was würdest du mir raten, damit ich meine Arbeit im Bereich Barrierefreiheit verbessern kann? Was wünschst du dir von mir?

Am besten schon bei der Konzeptentwicklung mit einem vielfältigen Team arbeiten. Nicht unbedingt IN der Firma - wobei das auch cool wäre. Es gibt ziemlich viele Gamer*innen mit Behinderung - vielleicht sind ja einige unter ihnen, die selbst gern auch in der Branche arbeiten würden und diesbezüglich dann gleich erste Barrieren benennen und früh bei der Beseitigung helfen könnten? Aber man kann auch entsprechende Beratungsangebote nutzen. Oder einfach mal in der Bubble rumfragen. Aber wenn ihr dabei befürchtet, so könnte die Idee einem Konkurrenzunternehmen in die Hände fallen, dass schneller ist und euch so um euer Spiel bringt, dann zumindest auf Portalen wie der Homepage von Gaming ohne Grenzen, welche Aspekte in den Spieletests beachtet werden, und schauen, wie man möglichst viele davon umsetzen kann. Und für mich selbst: Überlegt euch bitte, ob für jedes Spiel immer 3D-Grafik oder Pseudo-3D-Grafik nötig ist. In manchen Spielen ergibt es Sinn. Und klar, Virtual Reality wird nie was für mich sein. Kein Thema. Aber wenn es ein Point&Click Adventure ist, geht eine Grafik wie bei Monkey Island, Deponia und Co. doch auch ganz gut. Bei Rollenspielen sind manchmal Comicwelten auch niedlicher - besonders wenn das Spiel eh nicht auf realitätsgetreue Abbildungen setzt. Wenn also eine 'leichtere' Grafik möglich ist - warum nicht mal die wagen? (Ist eventuell sogar billiger in der Umsetzung?)

Unserer Erfahrung nach kann ich nur bestätigen, dass Spiele möglichst mit der Zielgruppe oder mit entsprechender Beratung entwickelt werden sollten. Und das nicht erst kurz vor Abschluss, sondern schon möglichst früh. Manche Einstellungsmöglichkeiten und Gameplay-Elemente zur Förderung von Barrierefreiheit lassen sich eben nicht leicht nachträglich einbauen. Das waren doch spannende Einblicke. Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast und bereit dazu warst, deine Erfahrungen mit uns zu teilen. 

Sehr, sehr gerne!

Über den/die Autor*in

Karolina Albrich
Ehemalige Mitarbeiterin bei Gaming ohne Grenzen

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